Plenarvortrag Konrad Ehlich
Sprachvermittlung unter prekären Umständen: Die europäische Migration als linguistische Herausforderung
Konrad Ehlich (Berlin)
Durch die jüngsten Intensivierungen des Migrationsgeschehens in und nach Europa, die wesentlich durch die vor allem US-amerikanische Destabilisierung des gesamten Nahen Orients verursacht wurden, erfährt die Thematik eine verstärkte öffentliche Wahrnehmung und eine sich neu formierende rechte bis rechtsradikale Abwehrbewegung in den verschiedensten europäischen Ländern. Diese stehen der Situation selbst dort weitgehend hilflos gegenüber, wo Abwehr, Abschottung und Militarisierung nicht à l’ordre du jour sind. Die jahrzehntelange Verschleppung einer politischen, demographischen und insbesondere bildungspolitischen Politikentwicklung wirkt sich ein weiteres Mal fatal aus. Der Rückfall in die Konzepte und Tagesordnungen nationalistischer Politikformate bestimmt zunehmend den öffentlichen Diskurs wie die politischen Handlungsmaximen. Überwunden geglaubte Wissenssysteme erfahren ein durch keine politisch-geschichtlichen Erfahrungen gebrochenes revival.
Ein Kernpunkt ist dabei die Sprachenfrage. Um im Zielland ihrer Migration handlungsfähig zu sein, ist für die MigrantInnen Teilhabe an den dort vorwiegend gesprochenen Sprachen unabdingbar. Für ihre kommunikative Handlungsfähigkeit befinden sich insbesondere die Flüchtlinge, also die zur gegenwärtig am deutlichsten öffentlich wahrgenommen Migrantengruppe Gehörenden, sprachlich häufig in prekären Situationen, die sich für die beteiligten Generationen unterschiedlich auswirken. Diese Prekarität ist ein Kristallisationspunkt ihrer gesamten Lebenssituation.
Das Schwanken zwischen „Willkommen“ und Abschiebung als obersten Leitgedanken der migrantischen Populationspolitik hält auch die Gesellschaft selbst in einem prekären Verhältnis zu den zu lösenden Aufgaben. Trotz mehr als fünfzigjährigen Erfahrungen werden periodisch die bereits gemachten und in ihren Folgen klar erkennbaren Fehler repetiert.
Dass die faktische Migrationsentwicklung zu einer erheblichen Bildungsaufgabe jenseits der überkommenen Bildungskonzepte und –institutionen geworden ist, dringt viel zu langsam in das öffentliche Bewusstsein. Die Entwicklung von systematischen Konzepten mit allen dazugehörigen, nicht zuletzt auch bildungsökonomischen Konsequenzen kommt nur mühsam voran. Das macht sich nicht zuletzt auch in der Situation der SprachvermittlerInnen bemerkbar, die ihrerseits unter prekären Bedingungen arbeiten und immer erneut unter den Druck von „Ehrenamts“-, also kostenfreien Konkurrenzangeboten ohne professionelle Qualifizierung geraten.
Da es sich hier wesentlich um eine Kernaufgabe von Sprachvermittlung handelt, ist linguistische Expertise in der Sache unabdingbar, wird jedoch von der Disziplin nur zögerlich und unsystematisch eingebracht. Dabei wirkt sich das weithin in der Disziplin vorherrschende Sprachkonzept ausgesprochen negativ aus, was in Kombination mit technizistischen Lösungsversprechen und verkürzten „kommunikativen Ansätzen“ die Augen vor den entscheidenden analytischen und Vermittlungs-Aufgaben verschlossen bleiben lässt. Pragmatische Kritik an diesen Konstellationen erscheint als unabdingbar. An Beispielen werden einige dieser Aspekte im Beitrag näher erörtert.